Der letzte Dichter



Anastasius Grün

„ Wann werdet ihr, Poeten ,
Des Dichtens einmal müd‘?
Wann wird einst ausgesungen
Das alte, ewige Lied ?

Ist nicht schon längst zur Neige
Des Ueberflusses Horn ?
Gepflückt nicht jede Blume,
Erschöpft nicht jeder Born ? “

Solang der Sonnenwagen
Im Azurgleis noch zieht,
Und nur Ein Menschenantlitz
Zu ihm empor noch sieht;

Solang der Himmel Stürme
Und Donnerkeile hegt,
Und bang vor ihrem Grimme
Ein Herz noch zitternd schlägt ;

Solang nach Ungewittern
Ein Regenbogen sprüht,
Ein Busen noch dem Frieden
Und der Versöhnung glüht ;

Solang die Nacht den Aether
Mit Sternensaat besät,
Und noch Ein Mensch die Züge
Der goldnen Schrift versteht;

Solang der Mond noch leuchtet,
Ein Herz noch sehnt und fühlt;
Solang der Wald noch rauschet
Und einen Müden kühlt ;

Solang noch Lenze grünen
Und Rosenlauben blühn,
Solang noch Wangen lächeln
Und Augen freude sprühn ;

Solang noch Gräber trauern
Mit den Cypressen dran ,
Solang Ein Aug‘ noch weinen ,
Ein Herz noch brechen kann :

So lange wallt auf Erden
Die Göttin Poesie ,
Und mit ihr wandelt jubelnd
Wem sie die Weihe lieh.

Und singend einst und jubelnd
Durchs alte Erdenhaus
Zieht als der lebte Dichter
Der lebte Mensch hinaus. –

Noch hält der Herr in Händen
Die Schöpfung, ingeknickt
Wie eine frische Blume,
Auf die er lächelnd blickt.

Wenn diese Riesenblume
Dereinstens abgeblüht
Und Erden, Sonnenbälle
Als Blütenstaub versprüht :

Erst dann fragt, wenn zu fragen
Die Lust euch noch nicht mied,
Ob endlich ausgesungen
Das alte , ew’ge Lied ?

Anastasius Grün – 1906

Wie ist doch die Erde so schön!

Das wissen die Vögelein;
Sie haben ihr leicht Gefieder
Und singen so fröhliche Lieder
In den blauen Himmel hinein.

Wie is doch die Erde so schön, so schön!
Das wissen die Flüss‘ und See’n;
Sie malen im klaren Spiegel
Die Gärten und Städt‘ und Hügel,
Und die Wolken, die drüber geh’n.

Und Sänger und Maler wissen es,
Und es wissen’s viel andere Leut‘,
Und wer’s nicht malt, der singt es,
Und wer’s nicht singt, der klingt es
In dem Herzen vor lauter Freud‘!

Robert Reinick – Die Abendschule – 1907.

Meiner Vaterstadt Greifswald


Hann Klüth

Du liebe Alte, hoch am Meer,
Mit blauen Augen, weißen Haaren,
Wann wird mir wohl die Wiederkehr
Nach all den langen Wanderjahren?

Wann wirst du mir den Schemel rücken
Und sprechen: »Jünging, ruh di ut«?
Wann werd‘ ich leis die Hand dir drücken
Und fragen: »Mudding, büst mi gut?«

Vielleicht bin ich schon siech und grau.
Bevor der Weg zu dir durchmessen.
Du liebe, gute, alte Frau,
Vergiß mich nicht, ich werd‘ dich nie vergessen.

Georg Engel

Fichte und der Berliner Landsturm


Johann Gottlieb Fichte und der Berliner Landsturm
Johann Gottlieb Fichte

  Sind wir bisher im Gange unserer Untersuchung richtig verfahren, so muß hierbei zugleich erhellen, daß nur der Deutsche – der ursprüngliche und nicht in einer willkürlichen Satzung erstorbene Mensch, wahrhaft ein Volk hat und auf eines zu rechnen befugt ist, und daß nur er der eigentlichen und vernunftgemäßen Liebe zu seiner Nation fähig ist.

Die 7te Rede an die deutsche Nation

Markungs-Umgang


Markungs-Umgang

  Sie hielten Markungs-Umgang
und fetzten Steine ein,
der Freiherr und die Bauern,
jung Volk viel hinterdrein.

Und wo vom Zahn der Zeiten
ein Stein zu Schanden war,
und wo durch Pflug und Wagen
die Grenze nimmer klar:

da ward nach altem Branche,
daß keines Recht verletzt,
nachdem man streng gemessen,
der Markstein neu gefetzt.

Und wenn er stand im Boden
und wies in steinerner Ruh‘
dem Freiherrn wie dem Bauern
gleich recht das Seine zu —-

dan sprach, wie’s stets geschehen,
hindeutend auf den Stein,
der Freiherr ernsten Tones
zum schlanken Sohne sein:

  „ Halt feste allerroten,
was Dir von Gott beschert,
doch zu unrechten Raube
sei nie Dein Arm bewert! “

Und zu des Wort’s Bekräft’gung
gab er dem Jungen darnach
nach altem Brauch auf die Schulter
biderben Ritterschlag.

Und gleichermaßen zum Sohne
der ält’ste Bauer gewandt,
und ließ den blonden Kraustopf
gar mächtig fühlen die Hand:

  „ Halt fest mit Deinen Zähnen
was Dir nach Rechten ward,
halt’s fest mit deiner zähne,
echt deutschen Bauernart! “

Dann zogen sie des Weges
und setzten Stein auf Stein
und prägten dem Junker und Bauer
mannlich die Grenzen ein. —

Weh, daß die Väter hatten
nicht stets des Brauches acht,
nicht auf dem Markungs-Umgang
des Reiches Grenze bewacht!

Allüberall haben Feinde
die Markung frech verletzt,
bis in das Herz des Landes
den Markstein oft gesetzt.

Wohlan, ihr deutschen Mannen,
zum Umzug seid bereit,
zu setzen sind manche Steine,
zu wahren manche in Streit!

Wohlan, du deutsche Jugend,
zieh treu den Vätern nach,
empfang von ihren Händen
den Markungsritterschlag:

  „ Halt fest zu allen Zeiten
dein deutsch ureigen Land
und schirme deine Marken
mit eisenstarker Hand! “

Aus der „Gartenlaube“ – 1864

Armes Menschenkind


Wenn Du ein armes Menschenkind
In bangem Schmerz siehst weinen,
So kannst Du Deine Thränen lind
Vereinen mit den seinen.
Du kannst mit mildem Trosteswort
Ihm vor die Augen treten:
Getheilter Schmerz ist halber Schmerz,
Ihr könnt zusammen beten.

Doch siehst Du wo ein helles Aug’
In Liebeszähren blinken,
So lenke Deinen Schritt zurück
Und laß’ sich’s einsam dünken!
Die Liebe ist sich selbst genug,
Darfst ihr nicht nahe treten –
Getheilte Lieb’ ist keine Lieb’,
Da muß man einsam beten.

Th. Schuckhart – Aus der „Gartenlaube“ – 1862

Dat du mien Leevsten büst


Dat du mien Leevsten büst
Dat du wohl weeßt
Kumm bi de Nacht, kumm bi de Nacht
Segg wo du heeßt
Kumm bi de Nacht, kumm bi de Nacht
Segg wo du heeßt

Kumm du um Middernacht
Kumm du Klock een!
Vader slöppt, Moder slöppt
Ick slaap alleen
Vader slöppt, Moder slöppt
Ick slaap alleen

Klopp an de Kammerdör
Fat an de Klink
Vader meent, Moder meent
Dat deit de Wind
Vader meent, Moder meent
Dat deit de Wind

Wenn dann de Morgen graut
Kreiht dann de Hahn
Leevste min, Leevste min
Du mußt jetz gahn
Leevste min, Leevste min
Du mußt jetz gahn

Plattdeutsche Volkslied