Gebrochene Blume


Goethe-Haus

Gefunden

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Aeuglein schön.

Ich wollt‘ es brechen,
Da sagt‘ es fein:
„Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?“

Ich grub’s mit allen
Den Würzeln aus,
Zum Garten trug ich’s
Am hübschen Haus.

Und pflanzt‘ es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

Wolfgang von Goethe

Ernst


Rückert

Drei Paare und Einer

Du hast zwei Ohren und einen Mund;
  Willst du’s beklagen ?
Gar vieles sollst du hören und —
  Wenig darauf sagen.

Du hast zwei Augen und einen Mund;
  Mach dir’s zu eigen:
Gar vieles sollst du sehen und —
  Manches verschweigen.

Du hast zwei Hände und einen Mund;
  Lern es ermessen !
Zwei sind da zur Arbeit und —
  Einer zum Essen.

Friedrich Rückert

Von dem Ursprung


So wie die Eltern geartet sind,
Sind größtentheils auch ihre Kind:
Sind sie mit Tugenden begabt,
An Kindern ihr deßgleichen habt.
Ein guter Baum gibt gute Frucht;
Der Mutter nach schlägt gern die Zucht.
Ein gutes Kalb, eine gute Kuh:
Das Jung thut’s gern dem Vater zu.
Hat auch der Adler hoch an Muth
Furchtsame Tauben je gebrut’t?
Doch merk‘ mich recht, merk‘ mich mit Fleiß,
Was man nicht wäscht, wird selten weiß.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm:
Das Kind behält seines Vaters Nam‘!

Die Schildbürger – 1854

Das Schlaraffenland


Schlaraffenland
Wie zu Schlaraffenland hinkommen.

Eine Gegend heißt Schlaraffenland,
den faulen Leuten wohlbekannt;
die liegt drei Meilen hinter Weihnachten.
Ein Mensch, der dahinein will trachten,
muß sich des großen Dings vermessen
und durch einen Berg von Hirsebrei essen;
der ist wohl dreier Meilen dick;
alsdann ist er im Augenblick
im selbigen Schlaraffenland.
Da hat er Speis und Trank zur Hand;
da sind die Häuser gedeckt mit Fladen,
mit Lebkuchen Tür und Fensterladen.
Um jedes Haus geht rings ein Zaun,
geflochten aus Bratwürsten braun;
vom besten Weine sind die Bronnen,
kommen einem selbst ins Maul geronnen.
An den Tannen hängen süße Krapfen
wie hierzulande die Tannenzapfen;
auf Weidenbäumen Semmeln stehn,
unten Bäche von Milch hergehn;
in diese fallen sie hinab,
daß jedermann zu essen hab.

Auch schwimmen Fische in den Lachen,
gesotten, gebraten, gesalzen, gebacken;
die gehen bei dem Gestad so nahe,
daß man sie mit den Händen fahe.
Auch fliegen um, das mögt ihr glauben,
gebratene Hühner, Gäns‘ und Tauben;
wer sie nicht fängt und ist so faul,
dem fliegen sie selbst in das Maul.
Die Schweine, fett und wohlgeraten,
laufen im Lande umher gebraten.
Jedes hat ein Messer im Rück‘;
damit schneid’t man sich ab ein Stück
und steckt das Messer wieder hinein.
Käse liegen umher wie die Stein.
Ganz bequem haben’s die Bauern;
sie wachsen auf Bäumen, an den Mauern;
sind sie zeitig, so fallen sie ab,
jeder in ein Paar Stiefel herab.
Auch ist ein Jungbrunn in dem Land;
mit dem ist es also bewandt:
wer da häßlich ist oder alt,
der badet sich jung und wohlgestalt’t
Bei den Leuten sind allein gelitten
mühelose, bequeme Sitten.
So zum Ziel schießen die Gäst‘,
wer am meisten fehlt, gewinnt das Best;
im Laufe gewinnt der Letzte allein;
das Schlafrocktragen ist allgemein,
Auch ist im Lande gut Geld gewinnen:
wer Tag und Nacht schläft darinnen,
dem gibt man für die Stund‘ einen Gulden;
wer wacker und fleißig ist, macht Schulden.
Dem, welcher da sein Geld verspielt,
man alles zwiefach gleich vergilt,
und wer seine Schuld nicht gern bezahlt,
auch wenn sie wär eines Jahres alt,
dem muß der andere doppelt geben.
Der, welcher liebt ein lustig Leben,
kriegt für den Trunk einen Batzen Lohn;
für eine große Lüge gibt man eine Kron‘.
Verstand darf man nicht lassen sehn,
aller Vernunft muß man müßig gehn;
wer Sinn und Witz gebrauchen wollt,
dem wär kein Mensch im Lande hold.
Wer Zucht und Ehrbarkeit hätt lieb,
denselben man des Lands vertrieb,
und wer arbeitet mit der Hand,
dem verböt man das Schlaraffenland.
Wer unnütz ist, sich nichts läßt lehren,
der kommt im Land zu großen Ehren,
und wer der Faulste wird erkannt,
derselbige ist König im Land.
Wer wüst, wild und unsinnig ist,
grob, unverständig zu aller Frist,
aus dem macht man im Land einen Fürsten.
Wer gern ficht mit Leberwürsten,
aus dem ein Ritter wird gemacht,
und wer auf gar nichts weiter acht’t
als auf Essen, Trinken und Schlafen,
aus dem macht man im Land einen Grafen.
Wer also lebt wie obgenannt,
der ist gut im Schlaraffenland,
in einem andern aber nicht.
Drum ist ein Spiegel dies Gedicht,
darin du sehest dein Angesicht.

Hans Sachs – 1530

Spatz und Katze


Spatz und Katz
»Wo wirst du denn den Winter bleiben?«
Sprach zum Spätzchen das Kätzchen.
»Hier und dorten, allerorten«,
Sprach gleich wieder das Spätzchen.

»Wo wirst du denn zu Mittag essen?«
Sprach zum Spätzchen das Kätzchen.
»Auf den Tennen mit den Hennen«,
Sprach gleich wieder das Spätzchen.

»Wo wirst du denn die Nachtruh‘ halten?«
Sprach zum Spätzchen das Kätzchen.
»Laß dein Fragen, will’s nicht sagen«,
Sprach gleich wieder das Spätzchen.

»Ei, sag mir’s doch, du liebes Spätzchen!«
Sprach zum Spätzchen das Kätzchen.
»Willst mich holen – Gott befohlen!«
Fort flog eilig das Spätzchen.

Hoffmann von Fallersleben

Gastmahl



Das Gastmahl wie es seyn soll

    Viele Schüsseln machen das Gastmahl nicht,
Wenige, aber conform zugericht,
Wirth und Wirthin ein freudliches Gesicht,
Gäste, denen es an Witz nicht gebricht,
Lauter gute Weine, gut zugepicht,
In Körben fortenweise aufgeschicht
Und prompte Bedeinung, die wenig spricht:
In dieser Art sauber den Tisch gedeckt
Macht, daß man alle Finger darnachleckt.

Lact. Lanthani

Neues Stettiner Kochbuch -1823

Die Teilung der Erde




»Was tun?« spricht Zeus, »die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben –
So oft du kommst, er soll dir offen sein.«

Friedrich Schiller

Baurenglück


Landleben
Pastoral Scene – David Johnson – 1867

Ihr Städter, sucht ihr Freude,
So kommt aufs Land heraus!
Seht, Garten, Feld und Weide
Umgrünt hier jedes Haus.
Kein reicher Mann verbauet
Uns Mond- und Sonnenschein;
Und abends überschauet
Man jedes Sternelein.

Wenn früh des Dorfes Wecker
Aus leichtem Schlaf uns kräht,
Durchjauchzt man rasch die Äcker
Mit blankem Feldgerät.
Das Weib indes treibt singend
Die Milchkuh aus dem Stall;
Laut folgen sie und springend
Des Horns bekanntem Schall.

Wir sehn, wie Gott den Segen
Aus milden Händen streut:
Wie Frühlingssonn und Regen
Uns Wald und Flur erneut,
Uns blühn des Gartens Bäume,
Uns wallt das grüne Korn,
Uns schwärmt nach Honigseime
Die Bien um Blum und Born.

Uns singt das Vöglein Lieder;
Uns rauscht die blaue Flut;
Uns schwirrt des Hofs Gefieder,
Umpiept von junger Brut;
Uns blöken rings und brüllen
Die Herden durch die Aun;
Uns tanzt das schlanke Füllen
Und gaffet übern Zaun.

Die Arbeit aber würzet
Dem Landmann seine Kost,
Und Mut und Freude kürzet
Die Müh in Hitz und Frost.
Sein Weib begrüßt ihn schmeichelnd,
Wann er vom Felde kehrt,
Und, seine Kindlein streichelnd,
Sich setzt am hellen Herd.

Die Bursch und Mägde strotzen
Von Jugendreiz und Mark;
Ja, selbst die Greise trotzen
Dem Alter, frisch und stark.
Und heißt der Tod uns wandern,
Wir gehn, wie über Feld,
Aus einer Welt zur andern
Und schönern Gotteswelt.

Ihr armen Städter trauert
Und kränkelt in der Stadt,
Die euch wie eingemauert
In dumpfe Kerker hat.
Oh, wollt ihr Freude schauen,
So wandelt Hand in Hand,
Ihr Männer und ihr Frauen,
Und kommt zu uns aufs Land!

Johann Heinrich Voß – 1784

Weihnachtslied


Vom Himmel in die tiefsten Klüfte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen Düfte
Und hauchen durch die Winterlüfte,
Und kerzenhelle wird die Nacht. 5

Mir ist das Herz so froh erschrocken,
Das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich höre fernher Kirchenglocken
Mich lieblich heimatlich verlocken
In märchenstille Heimlichkeit. 10

Ein frommer Zauber hält mich wieder,
Anbetend, staunend muß ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider
Ein goldner Kindertraum hernieder,
Ich fühl’s: ein Wunder ist geschehn.

Theodor Storm