Stettin am 11. Mai 1885


Zu den Füßen dreier Hügel, an der Oder grünem Strand,
Lag ein wendisch Fischerdörfchen, kaum dem Namen nach bekannt,
Wie der Schößling schier verschwindet in des Forstes weitem Raum,
Dem erwächst des Waldes König, der gewaltige Eichenbaum.

Und das Dörflein ward zum Flecken, stieg die grünen Höh’n hinan,
Baute Burg und Göttertempel, wuchs zu einer Stadt heran,
Kränzte sich mit Wall und Graben, thront auf den drei Hügeln kühn,
War gekannt im ganzen Norden als die Fürstenstadt Stettin.

Wie des Eises starre Rinde schmilzt am milden Frühlingstag,
Triglafs stolzer Götzentempel vor dem Kreuz zusammenbrach;
Mit germanischer Kraft und Bildung Wendentrotz vergeblich rang,
Deutsche Zunge, deutsche Sitte bald das Pommerland durchdrang.

Hasel, Schiffahrt und Gewerbfleiß brachten schnell Stettin in Flor,
In dem Bund der mächt’gen Hansa that es weidlich sich hervor,
Seine Bürger waren streitbar, eine Fürsten klug und brav,
Helden wie der dritte Barnim und der zehnte Bogislaw.

Als der Greifenstamm erloschen, und der Schwede hier gebot,
Litt die Stadt oft bitt’re Drangsal in des blutigen Kampfes Noth,
Sank dahin in Schutt und Trümmer bis nach manchem trüben Jahr,
Mit dem mächt’gen Fittich schirmte sie der Hohenzollern Aar!

Gleich dem Phönix aus der Asche uns’re Stadt fast neu erstand,
Blüht empor zu kräftigem Wohlstand in der Preußenkönige Hand,
Wuchs auch räumlich, wächst zur Stunde, da den Panzer die zersprengt,
Der mit längst zu engen Banden die Erwachsene eingezwängt.

Hoher Sinn für Recht und Sitte, Emsigkeit und Arbeitskraft,
Wissensdrang und schlichte Treue zieren ihre Bürgerschaft;
Geisteszwang wie zuchtlos Wesen fand hier niemals eine Statt,
Drum mit freud’gem Stolze sag‘ ich: „Das ist meine Vaterstadt!“

Mit der Burg, den alten Thürmen, schaust du heute noch, Stettin,
Auf der Oder klare Fluthen, Quelle deines Reichthums hin,
In dem Hafen, auf den Gaffen, wogt und drängt sich der Verkehr,
Deiner stolzen Schiffe Wimpel flattern auf dem fernsten Meer.

O Stettin, du Oderkrone, blühe, wachse fort und fort,
Bleib‘ auch ferner Pommerns Perle, jedes edlen Strebens Hort,
Und wenn’s gilt, für deutschen Reiches Ehr’ und Recht das Schwert zu zieh’n,
Mögen stets in erster Reihe steh’n die Söhne von Stettin!

Gustav Karow