Lied eines Armen



Ich bin so gar ein armer Mann,
  Und gehe ganz allein,
Ich möchte wohl nur einmal noch
  Recht frohen Muthes sein.

In meiner lieben Eltern Haus
  War ich ein frohes Kind,
Der bittre Kummer ist mein Theil,
  Seit sie begraben sind.

Der Reichen Gärten seh‘ ich blüh’n,
  Ich seh‘ die goldne Saat :
Mein ist der unfruchtbare Weg,
  Den Sorg‘ und Mühe trat.

Doch weil‘ ich gern mit stillem Weh
  In froher Menschen Schwarm,
Und wünsche Jedem guten Tag
  So herzlich und so warm.

O reicher Gott ! du ließest doch
  Nicht ganz mich freudenleer :
Ein süßer Trost für alle Welt
  Ergießt sich himmelher.

Noch steigt in jedem Dörflein ja
  Dein heilig Haus empor ;
Die Orgel und der Chorgesang
  Ertönet jedem Ohr.

Noch leuchtet Sonne, Mond und Stern
  So liebevoll auch mir,
Und wann die Abendglocke hallt,
  Da red‘ ich, Herr, mit dir.

Einst öffnet jedem Guten sich
  Dein hoher Freudensaal,
Dann komm‘ auch ich im Feierkleid,
  Und setze mich an’s Mahl.

Deutsches Lesebuch — 1855

Holzschnitt — Otto Pankok – 1940 – » Armer Mann «