Es war schon tief im Herbst. Der Abend kam schon früh in das Land. Die Luft war rauh, das Wetter Norddeutschlands ungastlich. Schon suchte man gern den wärmenden Ofen.
An einem solchen Abend hatte die „Großmutter“ eines wohlhabenden Landmannes die Tagesarbeit zur Seite gestellt, und die Sturzlampe angezündet, welche an einem Stabe über dem Tische aufgehängt war.
Sie war allein in der Stube. Das Feuer knisterte lustig im kleinen eisernen Ofen. Das Aquavit der Frauen, der Kaffee, schlich mit leiser Wärme durch ihre Glieder. Sie rückte den alten Lederstuhl näher dem Ofen zu, zog die Schuhe aus, und stellte ihre Füße auf die warme Steinplatte, nahm dann ihre Brille vor’s Auge, legte die Bibel in den Schooß und begann andächtig zu lesen. Alles war still rings um. Die Lampe ließ nur ein starkes Licht auf die Lesende fallen und verbreitete ein unsicheres Halblicht über das Geräthe. Geräuschlos spielten zwei junge Katzen in der Nähe. Leisen Tritts kam die Kätzin vom oberen Stockwerke herab und brachte einen Fang für die Jungen. Da knarrte die Thür, ein Mann trat ein, und blieb im Mantel gehüllt am Eingange stehen.
Die Alte, durch das Geräusch erschreckt, blickte vom Buche auf, und über die Brille hin nach der dunklen Gestalt.
„Wer seid ihr? Was wollt ihr? Habt ihr einen Auftrag an meinen Sohn, so sagt, ich will ihn bestellen.“
„Ich wollte allerdings,“ sagte der Mann, „doch nein, jetzt will ich nichts mehr, als nur euch sehen.“
„Mich sehen? Ich bin eine ehrbare Frau von 68 Jahren.“
„Und doch seid ihr schön für mich, daß ich nicht aufhören möchte, euch zu betrachten.“
„Ich schön? Du mein Himmel! Da seid ihr um 50 Jahre zu spät gekommen, Herr. Ja, damals war ich schön,“ sagte die Alte freundlich, schloß das Buch, und wollte sich jetzt erheben.
„Nein, bleibt, wenn ich euch bitten darf, schlagt das Buch nur wieder auf, und bleibt so wie ihr gewesen. Seht, ich bin ein Künstler, Mutter, und ihr gebt mir ein herrliches Bild à la Rembrandt. Wenn ihr so sitzt und aus eurem faltenreichen Gesicht überall das treue gute Herz hervorschaut, erscheint ihr mir wie Rembrandts Mutter. Wollt ihr mir nun erlauben, daß ich euch kurz skizzire?“
„Malen wollt ihr mich, Herr? Nu, wenn es euch Freude macht“, sagte die Alte geschmeichelt, und setzte sich wieder hin.
Der Künstler zog einen Stuhl heran, nahm seine Farben, die er gern bei sich trug, hervor und entwarf mit flinker Hand eine Farbenskizze. Als er damit zu Ende war, stand er auf und trat vor die Alte hin.
„Mutter,“ sagte er, „ich bin euch zu großem Dank verpflichtet, wüßt‘ ich nur, womit ich eure Freundlichkeit für mich vergelten könnte.“
„Herr je, ist gern geschehen, lieber Herr, ist gern geschehen, ihr braucht mir nicht zu danken. Nur eins möcht ich, sehen möchte ich euer Bild, Herr.“
„Ihr sollt ein solches Bild haben, Mutter, ich verspreche es euch.“
„Dank, schöner Herr, großen Dank. Wollen’s besonders in Ehren halten.“ Und mit freundlichsten Miene begleitete das Mütterchen den scheidenden Künstler vor die Thür.
So entstand „das alte Mütterchen“ von Gesellschap, das wir in einer sehr guten Lithographie jetzt vor uns haben. Es ist kein Zweifel, daß der Künstler dem lieben Urbilde redlich sein Wort gehalten hat.
Beilage zu M Auers
Faust – Polygraphisch-illustrirte Zeitschrift – 1859