Stelzenpromenade

» Ein Hirte im Departement des Landes «

   Im südwestlichen Winkel von Frankreich liegt ein Departement, welches zwar eines der größten, aber auch zugleich eines der ärmsten und im übrigen Theile Europas so wenig bekannt ist, als läge es in einem anderen Welttheile. Es ist dieses das Departement des Landes, in der früheren Gascogne und hat seinen Namen von den unermeßlichen Strecken wüsten Landes, welche nur hier und da von einigen Weideplätzen oder cultivirten Oasen unterbrochen sind, während sich längs dem Meere eine Kette von Dünen hinzieht, innerhalb deren sich wie der Lagunen befinden, die theils unter sich selbst, theils auch wieder mit dem Meere in Verbindung stehen. Diese Dünen dehnen sich von der Mündung der Gironde bis zu den Pyrenäen aus und bilden auf diese Weise eine etwa 150 Meilen lange, etwa 5 Meilen breite und von 100 bis 150 Fuß hohe Kette,
meist aus dem leichten Sande bestehend, den das Meer durch seine Bewegung an das Land wirft. Je nachdem die Wind stürme nach der einen oder andern Richtung weben, ändert sich auch die Lage dieser Dünen, obschon sie meist gegen Osten zu liegen, in welcher Richtung sie mit jedem Jahre um 25 Aards weiter ins Land hinein vorrücken sollen, so daß sie voraussichtlich in einem gewissen  Zeitraum das ganze Land überdecken würden, wenn ihnen nicht, wie in Holland, durch die Anpflanzung von Fichten oder an deren Bäumen eine Schranke gesetzt wird. Manchmal ereignet es sich auch hier, wie in Arabien und der Wüste Sahara,  daß unermeßliche Quantitäten Sand durch die Gewalt der Stürme weit fortgetragen werden und so wurde auch die Kirche und ein großer Theil des Dorfes Mimizan von einer solchen Sandfluth überschwemmt.

   Durch die Menge der Dünen wurde der Abfluß vieler Bäche in das Meer gehemmt und auf diese Weise bildeten sich die Lagunen, von denen die größte etwa sieben Meilen breit und auch ebenso lang ist. Die Oberfläche des Landes ist meist ausgetrocknet und öde, vier Monate im Jahre ausgenommen, wo der Regen große Lachen in den kleineren Vertiefungen bildet, die nicht selten mit Flugsand bedeckt werden und für den arglosen Reisenden dann sehr gefahrlich werden. Um dieser Gefahr vorzubeugen und überhaupt rascher auf dem leichten Sande vorwärts zu kommen, benützen die Bewohner des Landes Stelzen, die gewöhnlich einige Fuß hoch sind, so daß ein kleiner Mann in der Ferne dadurch das Aussehen eines mächtigen Riesen  gewinnt. Mit diesem eigenthümlichen Fortbewegungsmittelwissen die Bewohner recht gut zurecht zu kommen, wobei sie bei größeren Gängen noch einen Sitz auf einer Stange mit sich führen, auf dem sie ausruhen, wenn sie von ihrer Stelzenpromenade ermüdet sind. Außerdem sind die unteren Volksklassen besonders weit gegen die übrige Welt zurück, da sie von dieser beinahe völlig abgeschlossen sind und daher in einem halbwilden Zustande leben, wobei sie sich gewöhnlich in Schaaffelle kleiden und auch Schaaffelle oder gar nur Stroh als Lagerstätte benutzen. Ihre Nahrung besteht aus Mais oder Roggenbrod mit einer Art Häringe, die um so höher geschätzt werden, je ranziger sie schmecken. Daß diese Leute in hohem Grade unwißend und in physischer wie moralischer Beziehung verkommen sind, läßt sich leicht denken.

Illistrirte Welt und amerikanische Criminal-Berichte
New York, Sonnabend, 14. Mai, 1859