Markungs-Umgang


Markungs-Umgang

  Sie hielten Markungs-Umgang
und fetzten Steine ein,
der Freiherr und die Bauern,
jung Volk viel hinterdrein.

Und wo vom Zahn der Zeiten
ein Stein zu Schanden war,
und wo durch Pflug und Wagen
die Grenze nimmer klar:

da ward nach altem Branche,
daß keines Recht verletzt,
nachdem man streng gemessen,
der Markstein neu gefetzt.

Und wenn er stand im Boden
und wies in steinerner Ruh‘
dem Freiherrn wie dem Bauern
gleich recht das Seine zu —-

dan sprach, wie’s stets geschehen,
hindeutend auf den Stein,
der Freiherr ernsten Tones
zum schlanken Sohne sein:

  „ Halt feste allerroten,
was Dir von Gott beschert,
doch zu unrechten Raube
sei nie Dein Arm bewert! “

Und zu des Wort’s Bekräft’gung
gab er dem Jungen darnach
nach altem Brauch auf die Schulter
biderben Ritterschlag.

Und gleichermaßen zum Sohne
der ält’ste Bauer gewandt,
und ließ den blonden Kraustopf
gar mächtig fühlen die Hand:

  „ Halt fest mit Deinen Zähnen
was Dir nach Rechten ward,
halt’s fest mit deiner zähne,
echt deutschen Bauernart! “

Dann zogen sie des Weges
und setzten Stein auf Stein
und prägten dem Junker und Bauer
mannlich die Grenzen ein. —

Weh, daß die Väter hatten
nicht stets des Brauches acht,
nicht auf dem Markungs-Umgang
des Reiches Grenze bewacht!

Allüberall haben Feinde
die Markung frech verletzt,
bis in das Herz des Landes
den Markstein oft gesetzt.

Wohlan, ihr deutschen Mannen,
zum Umzug seid bereit,
zu setzen sind manche Steine,
zu wahren manche in Streit!

Wohlan, du deutsche Jugend,
zieh treu den Vätern nach,
empfang von ihren Händen
den Markungsritterschlag:

  „ Halt fest zu allen Zeiten
dein deutsch ureigen Land
und schirme deine Marken
mit eisenstarker Hand! “

Aus der „Gartenlaube“ – 1864

Armes Menschenkind


Wenn Du ein armes Menschenkind
In bangem Schmerz siehst weinen,
So kannst Du Deine Thränen lind
Vereinen mit den seinen.
Du kannst mit mildem Trosteswort
Ihm vor die Augen treten:
Getheilter Schmerz ist halber Schmerz,
Ihr könnt zusammen beten.

Doch siehst Du wo ein helles Aug’
In Liebeszähren blinken,
So lenke Deinen Schritt zurück
Und laß’ sich’s einsam dünken!
Die Liebe ist sich selbst genug,
Darfst ihr nicht nahe treten –
Getheilte Lieb’ ist keine Lieb’,
Da muß man einsam beten.

Th. Schuckhart – Aus der „Gartenlaube“ – 1862

Dat du mien Leevsten büst


Dat du mien Leevsten büst
Dat du wohl weeßt
Kumm bi de Nacht, kumm bi de Nacht
Segg wo du heeßt
Kumm bi de Nacht, kumm bi de Nacht
Segg wo du heeßt

Kumm du um Middernacht
Kumm du Klock een!
Vader slöppt, Moder slöppt
Ick slaap alleen
Vader slöppt, Moder slöppt
Ick slaap alleen

Klopp an de Kammerdör
Fat an de Klink
Vader meent, Moder meent
Dat deit de Wind
Vader meent, Moder meent
Dat deit de Wind

Wenn dann de Morgen graut
Kreiht dann de Hahn
Leevste min, Leevste min
Du mußt jetz gahn
Leevste min, Leevste min
Du mußt jetz gahn

Plattdeutsche Volkslied

Erste Mai


Hagedorn

Der erste Mai

Der erste Tag im Monat Mai
Ist mir der glücklichste von allen.
Dich sah ich und gestand dir frei,
Den ersten Tag im Monat Mai,
Daß dir mein Herz ergeben sei.
Wenn mein Geständnis dir gefallen,
So ist der erste Tag im Mai
Für mich der glücklichste von allen.

Friedrich von Hagedorn

Wo sind die stunden


Christian Hofmann von Hofmannswaldau

Wo sind die stunden
Der süssen zeit /
Da ich zu erst empfunden /
Wie deine lieblichkeit
Mich dir verbunden?
Sie sind verrauscht / es bleibet doch dabey /
Daß alle lust vergänglich sey.

Das reine schertzen /
So mich ergetzt /
Und in dem tieffen hertzen
Sein merckmahl eingesetzt /
Läst mich in schmertzen /
Du hast mir mehr als deutlich kund gethan /
Daß freundlichkeit nicht anckern kan.

Das angedencken
Der zucker-lust /
Will mich in angst versencken.
Es will verdammte kost
Uns zeitlich kräncken /
Was man geschmeckt / und nicht mehr schmecken soll /
Ist freudenleer und jammervoll.

Empfangne küsse /
Ambrirter safft /
Verbleibt nicht lange süsse /
Und kommt von aller krafft;
Verrauschte flüsse
Erquicken nicht. Was unsern geist erfreut /
Entspringt aus gegenwärtigkeit.

Ich schwamm in freude /
Der liebe hand
Spann mir ein kleid von seide /
Das blat hat sich gewand /
Ich geh‘ im leide /
Ich wein‘ itzund / daß lieb und sonnenschein
Stets voller angst und wolcken seyn.

Christian Hofmann von Hofmannswaldau

Gebrochene Blume


Goethe-Haus

Gefunden

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Aeuglein schön.

Ich wollt‘ es brechen,
Da sagt‘ es fein:
„Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?“

Ich grub’s mit allen
Den Würzeln aus,
Zum Garten trug ich’s
Am hübschen Haus.

Und pflanzt‘ es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

Wolfgang von Goethe

Ernst


Rückert

Drei Paare und Einer

Du hast zwei Ohren und einen Mund;
  Willst du’s beklagen ?
Gar vieles sollst du hören und —
  Wenig darauf sagen.

Du hast zwei Augen und einen Mund;
  Mach dir’s zu eigen:
Gar vieles sollst du sehen und —
  Manches verschweigen.

Du hast zwei Hände und einen Mund;
  Lern es ermessen !
Zwei sind da zur Arbeit und —
  Einer zum Essen.

Friedrich Rückert

Von dem Ursprung


So wie die Eltern geartet sind,
Sind größtentheils auch ihre Kind:
Sind sie mit Tugenden begabt,
An Kindern ihr deßgleichen habt.
Ein guter Baum gibt gute Frucht;
Der Mutter nach schlägt gern die Zucht.
Ein gutes Kalb, eine gute Kuh:
Das Jung thut’s gern dem Vater zu.
Hat auch der Adler hoch an Muth
Furchtsame Tauben je gebrut’t?
Doch merk‘ mich recht, merk‘ mich mit Fleiß,
Was man nicht wäscht, wird selten weiß.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm:
Das Kind behält seines Vaters Nam‘!

Die Schildbürger – 1854

Das Schlaraffenland


Schlaraffenland
Wie zu Schlaraffenland hinkommen.

Eine Gegend heißt Schlaraffenland,
den faulen Leuten wohlbekannt;
die liegt drei Meilen hinter Weihnachten.
Ein Mensch, der dahinein will trachten,
muß sich des großen Dings vermessen
und durch einen Berg von Hirsebrei essen;
der ist wohl dreier Meilen dick;
alsdann ist er im Augenblick
im selbigen Schlaraffenland.
Da hat er Speis und Trank zur Hand;
da sind die Häuser gedeckt mit Fladen,
mit Lebkuchen Tür und Fensterladen.
Um jedes Haus geht rings ein Zaun,
geflochten aus Bratwürsten braun;
vom besten Weine sind die Bronnen,
kommen einem selbst ins Maul geronnen.
An den Tannen hängen süße Krapfen
wie hierzulande die Tannenzapfen;
auf Weidenbäumen Semmeln stehn,
unten Bäche von Milch hergehn;
in diese fallen sie hinab,
daß jedermann zu essen hab.

Auch schwimmen Fische in den Lachen,
gesotten, gebraten, gesalzen, gebacken;
die gehen bei dem Gestad so nahe,
daß man sie mit den Händen fahe.
Auch fliegen um, das mögt ihr glauben,
gebratene Hühner, Gäns‘ und Tauben;
wer sie nicht fängt und ist so faul,
dem fliegen sie selbst in das Maul.
Die Schweine, fett und wohlgeraten,
laufen im Lande umher gebraten.
Jedes hat ein Messer im Rück‘;
damit schneid’t man sich ab ein Stück
und steckt das Messer wieder hinein.
Käse liegen umher wie die Stein.
Ganz bequem haben’s die Bauern;
sie wachsen auf Bäumen, an den Mauern;
sind sie zeitig, so fallen sie ab,
jeder in ein Paar Stiefel herab.
Auch ist ein Jungbrunn in dem Land;
mit dem ist es also bewandt:
wer da häßlich ist oder alt,
der badet sich jung und wohlgestalt’t
Bei den Leuten sind allein gelitten
mühelose, bequeme Sitten.
So zum Ziel schießen die Gäst‘,
wer am meisten fehlt, gewinnt das Best;
im Laufe gewinnt der Letzte allein;
das Schlafrocktragen ist allgemein,
Auch ist im Lande gut Geld gewinnen:
wer Tag und Nacht schläft darinnen,
dem gibt man für die Stund‘ einen Gulden;
wer wacker und fleißig ist, macht Schulden.
Dem, welcher da sein Geld verspielt,
man alles zwiefach gleich vergilt,
und wer seine Schuld nicht gern bezahlt,
auch wenn sie wär eines Jahres alt,
dem muß der andere doppelt geben.
Der, welcher liebt ein lustig Leben,
kriegt für den Trunk einen Batzen Lohn;
für eine große Lüge gibt man eine Kron‘.
Verstand darf man nicht lassen sehn,
aller Vernunft muß man müßig gehn;
wer Sinn und Witz gebrauchen wollt,
dem wär kein Mensch im Lande hold.
Wer Zucht und Ehrbarkeit hätt lieb,
denselben man des Lands vertrieb,
und wer arbeitet mit der Hand,
dem verböt man das Schlaraffenland.
Wer unnütz ist, sich nichts läßt lehren,
der kommt im Land zu großen Ehren,
und wer der Faulste wird erkannt,
derselbige ist König im Land.
Wer wüst, wild und unsinnig ist,
grob, unverständig zu aller Frist,
aus dem macht man im Land einen Fürsten.
Wer gern ficht mit Leberwürsten,
aus dem ein Ritter wird gemacht,
und wer auf gar nichts weiter acht’t
als auf Essen, Trinken und Schlafen,
aus dem macht man im Land einen Grafen.
Wer also lebt wie obgenannt,
der ist gut im Schlaraffenland,
in einem andern aber nicht.
Drum ist ein Spiegel dies Gedicht,
darin du sehest dein Angesicht.

Hans Sachs – 1530